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Frauen und Kirche:Tief im Maschinenraum des Katholizismus: der Klerikalismus aus dem 19. Jahrhundert

Es gilt, unsere Vorstellungen, wie Kirche zu sein hat, von allen Merkmalen einer Über- und Unterordnung und daran gebundener Heilszusagen zu befreien. Fazit einer Aachener Online-Veranstaltung mit Prof. Dr. Michael Schüßler
2018-12-11_Prof Schüßler_Benjamin van Husen
Datum:
4. Okt. 2022

Die eigenen klerikalistischen Muster zu überwinden, ist alles andere als einfach

Wiedervorlage: Aufarbeitung (Macht)Missbrauch

Die stetig sich verschärfende Kirchenkrise beschäftigt viele Gläubige, Teile der Öffentlichkeit und auch der Wissenschaft. Einer, der regelmäßig in den Maschinenraum des Katholizismus hinabsteigt, ist Prof. Dr. Michael Schüßler von der Katholisch-Theologischen Fakultät Tübingen. Als Kernproblem, das im heutigen 21. Jahrhundert einer zeitgemäßen Weiterentwicklung der Kirche und ihrer Lehre entgegensteht, entdeckt er in diesem Maschinenraum den Klerikalismus.

Dieser ist ein Kind des 19. Jahrhunderts, als sich die damaligen Kirchenfürsten den politischen, sozialen und kulturellen Trends ihrer Zeit entgegenstemmten, wie Michael Schüßler bei einer Aachener Online-Veranstaltung am 27. Oktober 2022 skizzierte. Aus Distanz und heutiger Warte betrachtet, sei es erstaunlich, wie erfolgreich sich der Klerikalismus etabliert hat. Ihm sei es gelungen, seinen historisch bedingten, kulturkämpferischen Ursprung zu verschleiern.

So habe er seitdem alle Generationen katholischer Christ:innen mit scheinbar ewigen Gesetzen, Ordnungen und Moralvorschriften geprägt. Diese Sozialisation steckt auch den meisten, die heute leben und mindestens im mittleren Alter sind, tief in den religiösen Knochen. Das gilt jenseits dessen, dass sich immer mehr von rigiden Beziehungsvorgaben, weltfremden Verhütungsvorschriften und menschenfeindlicher Diskriminierung sexueller Orientierungen und Identitäten lösten.

Was nämlich im Kern den Klerikalismus ausmacht, ist die autoritäre Über- und Unterordnung in einem Ständesystem von Klerus und Laien. Dem höheren Stand seien exklusive Rechte, Befugnisse und Kompetenzen zugeordnet. Sogar die Heilszusage Gottes gegenüber der Menschheit sei inner- und äußerlich an Priester und Bischöfe gebunden worden. Aber reiche die unbedingte Liebe Gottes nicht weiter, als dass sie nur über Kirche und Klerus zugänglich sei, laute da die Frage.

Und doch unterwerfen sich viele Katholik:innen immer noch diesem Denken, dass sie die Schafe in einer Herde seien, die Hirten nachzufolgen haben, die den richtigen Weg wissen und sich väterlich um die Herde kümmern. Das Zweite Vatikanische Konzil brachte in Teilen ein Überdenken dieses Ständesystems in Gang. Und doch verhinderte die Novellierung des kanonischen Kirchenrechts im Jahr 1983 trotz mancher Teilfortschritte den Erfolg der Idee, die autoritäre Hierarchie durch ein modernes Verständnis des gemeinsamen Priestertums abzulösen.

So ist dieses Recht das Bollwerk, gegen das sich alle Versuche, zu einem neuen Miteinander von Priestern und Laien zu kommen, behaupten müssen. Michael Schüßler stimmte in der angeregten Online-Diskussion der These zu, dass alle Veränderungen und Öffnungen der Kirche im Wesentlichen nur auf Druck erfolgen. Das gelte für die in Sicht befindlichen Verbesserungen im kirchlichen Arbeitsrecht ebenso wie für alle anderen Zugeständnisse an moderne Anforderungen.

Die Schlussfolgerung liegt auf der Hand: Allen Lippenbekenntnissen zum Trotz ist die katholische Welt weiterhin zutiefst vom autoritären Klerikalismus des 19. Jahrhunderts geprägt. Das betrifft Bischöfe und Priester als Akteure einerseits, setzt sich aber in Abstufungen nahtlos beim übrigen pastoralen Personal, bei Ehrenamtlichen und Gläubigen in den Gemeinden fort. Überall ist die Hierarchie als ewig und gültig verinnerlicht, nicht zuletzt, weil die Zuteilung von Geld und Ressourcen sowie der Zugang zu Heil und Erlösung an Unterordnung und Gehorsam gebunden scheint.

Die eigenen klerikalistischen Muster zu überwinden, ist alles andere als einfach

Hinzu kommt eine sakrale Überhöhung der heiligen Kirche und der heiligen Männer. Dieses Merkmal des Klerikalismus ist eine der wichtigsten Ursachen sowohl für massenhaften sexuellen Missbrauch durch Kleriker als auch für die Vertuschung dieser Taten. Denn was heilig sein soll, kann doch nicht sündig handeln. So konnten Täter lange auf den Schutzschirm ihrer charismatischen Ausstrahlung von Amt und Persönlichkeit zählen, sowohl bei der Institution als auch bei den Gemeinden.

Bis heute reagieren Gemeinden gespalten, wenn Beschuldigungen öffentlich werden, wenn ihr Priester wegen eines Verfahrens beurlaubt oder abgezogen werden. Es gibt immer Menschen, die aufgrund ihres eigenen persönlichen Zugangs eine Täter-Opfer-Umkehr betreiben oder zumindest die Beschuldigung anzweifeln oder relativieren. Michael Schüßler kennt so manche Fälle, die deutlich zeigen: Der Klerikalismus lebt und ist eine Konstante, die Betroffenen das Leben schwer macht.

Die Aachener Online-Diskussion führte auf die Frage hinaus: Wie kann man angesichts des Leidens, das die autoritär geprägte ständische Kirche mit ihren scheinbar ewigen Gesetzen, Ordnungen und Moralvorschriften auslöst, noch Mitglied, gar Mitarbeiter:in dieser Kirche bleiben? Michael Schüßler zeigte drei Alternativen auf. Die erste ist die Akzeptanz des Klerikalismus, aber sie schreibt alles Unrecht und Leid fort. Die zweite ist der Versuch, von innen her eine Verfassungsreform der Kirche anzustreben. Daran arbeiten sich viele Menschen und Gruppen mit nur kleinen Erfolgen ab und es bleibt immer die klerikale Ständeordnung der Bezugspunkt von Argumenten und Projekten.

Die dritte ist für Menschen, die dem katholischen Christentum verbunden sind, die anspruchsvollste. Denn sie erfordert, sich vollständig von der Sozialisation im Ständesystem zu lösen. Den Klerikalismus in letzter Konsequenz hinter sich zu lassen, braucht die alltägliche Überwindung der Vorstellungen von Kirche, wie sie seit dem 19. Jahrhundert tief in uns verankert wurden – und zwar in Sprache und Taten. Ideen und Kraft dafür können neben neuen Theologien auch ältere Überlieferungen geben, auf Grundlage der Evangelien, historische Vorbilder etwa der frühen Kirche. Gemeinsam zu glauben, in Gemeinschaft und Gemeinde, war und ist möglich, ohne Menschen unter- und überzuordnen, ohne manche Gruppen auszugrenzen, ohne Angst und ohne Drohbotschaften.

Es könnte somit für gläubige Menschen jenseits des Kirchenaustritts das Gebot der Stunde sein, das Reich Gottes und die Kirche ohne klerikalistisches Korsett zu gestalten, dem Gottessohn in einer aufgeklärten und menschenfreundlichen Form nachzufolgen. Gewohnte und eingeübte Muster zurückzulassen, die bei aller Enge auch Zugehörigkeit und Beheimatung boten, ist nicht einfach. Es ist aber kein Traditionsbruch, sondern die Befreiung von überkommenen Unrechtsstrukturen. Somit könnte dies die nachhaltigste Strategie sein, weiter Kirche zu sein, als Mitglied oder auch ohne Mitgliedschaft. Manchen bei der Veranstaltung gab die Programmatik Mut, die Papst Franziskus immer wieder formuliert: Jesus klopft an die Türen seiner Kirche, und zwar von innen – er will raus.

Info
Die von Annette Diesler, geistliche Leitung des kfd-Diözesanverbands Aachen, moderierte Online-Veranstaltung mit Prof. Dr. Michael Schüßler gehörte zu einer Veranstaltungsreihe, die sich mit den systemischen Ursachen von sexualisierter Gewalt im Raum der Kirche beschäftigt.

Mehr Informationen und nächste Termine unter www.wiedervorlage-aufarbeitung.de. Als Veranstalter zeichnen verantwortlich: BDKJ Diözesanverband Aachen, Bischöfliche Akademie des Bistums Aachen, Diözesanrat der Katholik*innen im Bistum Aachen und kfd Diözesanverband Aachen.